Mittwoch, 28.09.2011




Kürzen oder nicht?

Angesichts der Empfehlungen der Trajtenberg-Kommission wird in Israel die Frage diskutiert, ob eine Kürzung des Verteidigungshaushalts zugunsten einer Aufstockung der Sozialsysteme angemessen wäre. Wir dokumentieren pro und contra in zwei Kommentaren.

Das Establishment aufbrechen

Von Yakir Elkariv

Die Frage, ob der Verteidigungshaushalt gekürzt werden soll oder nicht ist weitgehend rhetorischer Natur: Die positive Antwort ist bereits bekannt. Die einzige Frage ist, wie tief wir in diese tiefe Tasche greifen können.

Die echte Überraschung betrifft die Struktur des Haushalts: Es stellt sich heraus, dass von um die 50 Milliarden Shekel (ca. 10 Milliarden Euro) beinahe die Hälfte jedes Jahr dazu genutzt wird, die Gehälter und Pensionen von Berufsoffizieren zu bezahlen. Das Verteidigungsestablishment erklärt, dieser Anteil des Budgets sei "gesetzt" und es habe hier keinen Zugang.

An den noch verbleibenden 26 Milliarden Shekel (ca. 5 Milliarden Euro), so erklärt man uns, könne nicht gekürzt werden, ohne ernsthaft unsere nationale Sicherheit aufs Spiel zu setzen.

Dies führt unweigerlich zu der Frage, gegen wen wir verteidigt werden sollen? Die riesige jordanische Armee? Das taumelnde Syrien? Die libanesische Bedrohung? Letztendlich gehen die Chancen, dass in unserer Region ein altmodischer Krieg ausbricht, gegen null. Heute haben wir es in den meisten Fällen mit Operationen zu tun, die einige Tage dauern und wie Wahlkampagnen gemanagt werden – ein Auge wird dabei immer auf die öffentliche Meinung geworfen.

Auch die Schlachtenszenarien haben sich geändert: Wenn wir früher noch mit bewaffneten Kolonen in der Wüste gekämpft haben, kann heute eine kleine bewaffnete Drohne, die aus einem klimatisierten Kommandozentrum heraus gesteuert wird, die Arbeit eines ganzen Zugs erledigen und so Schaden an unseren Truppen verhindern.

Die Technologie hat den Kampf billiger und tödlicher gemacht. Früher mussten wir eine ganze Patrouilleneinheit riskieren, um herauszufinden, was hinter einem Hügel passiert. Heute können wir unmittelbar ein detailliertes Satellitenfoto erstellen.

Doch das Establishment tendiert, wie es Establishments eben so an sich haben, dazu, um seine Existenz, Vorteile und Ressourcen zu kämpfen. In der Konfrontation mit dem politischen Establishment lässt es sich zu Beschreibungen der existentiellen Bedrohungen, die über unseren Köpfen schweben, hinreißen. Wir brauchen starke Nerven und viel Erfahrung, um diesem riesigen Establishment gegenüberzutreten und der bekannten Rhetorik nicht nachzugeben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass das Geld, das wir im Verteidigungshaushalt kürzen, nicht verloren geht: Wie die Luft zum Atmen wird es in der Kindererziehung, den Sozial- und Gesundheitssystemen und anderen Wirtschaftsbereichen benötigt, die unter dem Gewicht echter Kürzungen zusammenbrechen, und denen es nicht gelingt, die Bürger mit lebenswichtigen Dienste zu versorgen.

Wenn es ein echtes Ergebnis der Sozialproteste gibt, die hier vor einigen Monaten ausgebrochen sind, wäre es die Umschichtung einiger Milliarden aus dem Verteidigungshaushalt in Bereiche, wo das Geld einen besseren Beitrag leisten würde als uns vor einer Art flüchtiger Bedrohung zu schützen.

Und wenn irgendein Ayatollah im Iran sich – in einem, zwei oder fünf Jahren – entscheidet, die Bombe über uns abzuwerfen, wird eine Milliarde hier oder da keinen Unterschied machen.

ZAHAL optimieren, nicht schwächen

Von Hagai Segal

In dem zentralen Schlachthaus für heilige Kühe bereitet man sich auf die Ankunft des Verteidigungshaushalts vor. Seit vielen Jahren haben sich die Menschen dort überlegt, wie gerne sie die heilige Verteidigung zu Frikadellen verarbeiten würden und sehen nun die goldene Möglichkeit gekommen, diesen Traum zu verwirklichen.

Die Menschen wollen soziale Gerechtigkeit und eine kleine Armee, und wenn das Volk es will, muss Trajtenberg dem zustimmen. Dieser nette und weise Mann hat leicht populistische Tendenzen. Von dem Moment an, als seine Kommission eingesetzt wurde, hat er signalisiert, dass der Verteidigungshaushalt sich einer strengen Diät würde unterziehen müssen.

Sollten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) weiter eine heilige Kuh bleiben? Ganz und gar nicht. Dürfen wir auch nicht nur einen Shekel am Verteidigungshaushalt kürzen? Kürzungen sind erlaubt. Von Zeit zu Zeit muss unsere Regierung vorsichtig das reale Sicherheitsbedürfnis Israels untersuchen und sein Budget berechnen. Es gibt keine heiligen Panzer bei ZAHAL und kein Raketenabwehrsystem Iron Dome, das wir nicht überdenken könnten.

Wir könnten auch ganz sicher die Generäle von ZAHAL dazu zwingen, das Pensionsalter von Berufsoffizieren heraufzusetzen. Ein 42-jähriger Major muss noch nicht in den Ruhestand gehen und für den Rest seines Lebens eine großzügige Pension vom Staat beziehen. Er kann mindestens bis zum Alter von 60 Jahren noch weiter dienen.

Das Problem ist, dass die meisten Fans einer Kürzung des Haushalts ZAHAL nicht optimieren wollen, sie wollen sie schwächen. Dem dürfen wir ganz sicher nicht zustimmen. Die Kampagne für eine Kürzung des Verteidigungshaushalts wird nicht allein von der Protestbewegung der Zeltstädte geführt. Angeführt wird sie außerdem von bekannten Friedensaktivisten, die eher an Abkommen mit Abbas glauben als an die Stärke von ZAHAL.

Es gibt zu viele Menschen mit Megaphonen oder einer eigenen Fernsehsendung, die glauben, dass eine starke Armee ein Hindernis für den Frieden darstellt.

Wenn sie auch nur ein kleines bisschen Recht hätten und unser Frieden mit Abbas echt wäre, dann brauchen wir wirklich keine Armee mit großen Ressourcen; eine Armee im Stile der Schweizer Armee wäre genug. Doch sie haben unrecht, und für diesen Fehler könnten wir mit unserer Existenz bezahlen.

Wenn unsere Nachbarn erst einmal angreifen, werden wir nicht genug Jets und U-Boote haben, um zu überleben. Genau wie 1973 werden wir verzweifelt auf amerikanische Hilfe angewiesen sein. Doch diese Hilfe wird in der Zwischenzeit bereits selbst auf zerstörerische Weise beschnitten worden sein. Jede Nation hat ihren eigenen Trajtenberg, mit dem sie fertig werden muss.

(Ynet, 27.09.11)

Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.