Donnerstag, 03.01.2008




Olmert die Stange halten

Von Aluf Benn

Der Abschlussbericht der Winograd-Kommission über das Verhalten der Entscheidungsträger im zweiten Libanonkrieg ist noch nicht veröffentlicht, und schon plädieren einige für den Rücktritt von Ministerpräsident Ehud Olmert.

Man kann das Verlangen verstehen, Olmert – wenn auch zu spät – für seine Irrtümer vor und während dem Krieg zu bestrafen, angefangen bei der Ernennung von Amir Peretz zum Verteidigungsminister über die überstürzte Aufnahme der Kampfhandlungen und das Sich-Hineinziehenlassen  in einen Zermürbungskrieg mit der Hisbollah bis hin zum letzten und überflüssigen Gefecht.  Aber Zorn ist kein guter Ratgeber für praktische Politik, und man muss sich fragen, ob eine Entlassung Olmerts dem Land gegenwärtig nützen oder schaden würde.

Seit dem Krieg hat Olmert beeindruckende Erfolge bei dem erzielt, was er zu seinem Ziel bestimmt hat, der „Beschäftigung mit der Führung des Staates“. In jeder möglichen Hinsicht steht Israel unter Olmert besser da als unter seinen Vorgängern. Die Wirtschaft blüht, der Terrorismus ist zurückgegangen, das politische System ist stabil, und die Armee erneuert sich unter einem erfahrenen Verteidigungsminister. Olmert hat den politischen Prozess mit den Palästinensern wieder aufgenommen und arbeitet auf das Einfrieren der Siedlungen hin, wobei er innere Konflikte vermeidet. Seine sehr riskante Entscheidung für den Luftangriff auf Syrien führte nicht zu einer Konfrontation und endete ohne politischen Schaden. „Die Welt“ ist Israel gegenüber freundlich eingestellt und der US-Präsident auf dem Weg nach Jerusalem, zum ersten Mal in seiner Amtszeit.

Gescheitert ist Olmert darin, Hoffnung für die Zukunft zu geben. Eineinhalb Jahre nach dem Waffenstillstand im Libanon ist der nationale Gemütszustand laut Umfragen noch immer am Boden. Das wirtschaftliche Wachstum und die Verringerung der Anschläge beruhigen die Öffentlichkeit nicht, die sich angesichts der Bedrohung durch den extremistischen Islam und unter einer unpopulären Führung um die Zukunft des Landes sorgt. Die wackeligen Gespräche mit Mahmoud Abbas erregen bestenfalls Gähnen. Die Erklärung von Annapolis, die versprach, „jede Anstrengung zu unternehmen“, um bis Ende des Jahres ein israelisch-palästinensisches Abkommen zu erreichen, sind wie eine Ansammlung leerer Worte aufgenommen worden. Die beeindruckende Führung der Koalition, die der Regierung die pünktliche und unaufgeregte Verabschiedung des Haushalts ermöglichte, wird als politische ‚Kombina’ und Überlebensübung aufgefasst, und nicht als angemessene Staatsführung.

Die Hauptlehre aus der Olmert-Administration besteht darin, dass Entscheidungskraft und die Fähigkeit, politische Systeme voranzutreiben, nicht genügen. Nationale Solidität verlangt auch nach populärer Führung, die Sicherheit vermittelt. Aber nehmen wir an, Olmert müsste nach dem Winograd-Bericht zurücktreten. Was wurde der nächste Ministerpräsident tun? Hat einer der Anwärter auf das Amt eine andere Lösung für die Probleme des Staates zu bieten? Eine andere Richtung? Würde Tzipi Livni die Verhandlungen mit den Palästinensern anders führen? Hätte Ehud Barak eine bessere Antwort auf die Kassam-Raketen, als er sie jetzt hat? Würde Binyamin Netanyahu anders über den Iran sprechen, wenn er aus der Opposition in die Regierung spränge? Würde er die Gespräche mit den Palästinensern abbrechen, die den Amerikanern so wichtig sind? Würde einer von ihnen den syrischen Kanal erneuern, während selbst Frankreich Assad boykottiert?

Es gibt heutzutage in Israel keine wirkliche politische Auseinandersetzung, wie es sie zwischen Peres und Shamir oder zwischen Rabin und Netanyahu gegeben hat. Alle Kandidaten für die Führung vertreten den gleichen Weg: zögerliche Verhandlungen mit den gemäßigten Palästinensern, politischer Boykott der Hamas, Einfrierung des syrischen Kanals, Sorge um das iranische Atomprogramm und Fortsetzung des wirtschaftlichen Wachstums. In einer solchen Situation würde ein Austausch des Ministerpräsidenten nur Lärm verursachen und das Land in einen überflüssigen Wahlkampf stürzen, dessen Ausgang nichts ändern würde.

Das Jahr 2008 wird im Zeichen der ausgehenden Amtszeit von Bush stehen, und die staats- und sicherheitspolitischen Entwicklungen werden von der Fähigkeit des US-Präsidenten abhängen. Im Mittelpunkt wird die Entscheidung Israels stehen, ob man den Iran angreifen oder ihn in Ruhe lassen und hoffen soll, dass die nächste Regierung in Washington mit ihm zu einem Einverständnis gelangt, das die iranische Bedrohung aufweichen wird. Die Regierung wird auch darauf gedrängt werden, den politischen Prozess so weit wie möglich voranzutreiben, einen stabilen Waffenstillstand mit der Hamas zu erzielen und die entführten Soldaten nach Hause zurück zu bringen.

Im nächsten Jahr werden die Dinge anders aussehen. Ins Weiße Haus werden eine neue Präsidentin oder ein neuer Präsident einziehen, die versuchen werden, sich durch eine andere Nahostpolitik von Bush zu unterscheiden. Dies wäre auch der richtige Zeitpunkt für eine Re-Evaluierung der israelischen Führung und ihre Anpassung an eine neue Epoche in der Region. Insofern ist es sinnvoll, 2009 zu Wahlen zu schreiten, in deren Zentrum die für die Zukunft des Landes angemessene Politik stehen wird und nicht die Abrechnungen in Bezug auf den letzten Krieg.

(Haaretz, 03.01.08)