III. Hisbollah
„Die Hisbollah wurde im [zweiten Libanon-] Krieg 2006 schwer getroffen. Nach dem Krieg hat sie ein mehrjähriges Programm zum Neuaufbau ihrer Kampfkraft begonnen. Dieses Programm hat mehrere Dimensionen: eine Dimension der Waffen, eine Dimension der Manpower, eine Dimension der Ausbildung und eine Dimension der Doktrin. In jeder Dimension befindet sich das Wiedererstarken der Hisbollah an einem andern Punkt. Daher ist die Frage nicht allein die nach der Anzahl von Raketen in den Händen der Hisbollah und deren Reichweite. Ein Waffenapparat steht nicht für sich selbst. Man muss Personen aufbauen und eine Struktur schaffen. Die Hisbollah hat sich ein Ziel gesetzt und erreicht dieses 2008 noch nicht.“
„Die Hisbollah wird ihre Aufstellung und ihren Machtaufbau etwa zu dem Termin vollenden, den sie sich gesetzt hat. Es kann sein, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereit sein wird, mehr Risiken einzugehen. Aber wie Syrien versteht auch die Hisbollah, dass ein frontales Zusammentreffen mit Israel nicht die richtige Strategie für sie ist. Auch sie will die Möglichkeit besitzen, Israel in einer Form abzuschrecken, die es ihr gestattet, Israel, ohne dass es mit einem umfassenden Krieg reagieren würde, mittels punktuellen Terrors Stiche zuzufügen.“
„Die UN-Resolution 1701 wird nicht vollständig umgesetzt. Was umgesetzt wird, ist die Präsenz der UNIFIL im Südlibanon und die Nicht-Präsenz uniformierter Hisbollah-Kämpfer in befestigten Stellungen nahe der Grenze. Was nicht umgesetzt wird, ist die Rückkehr der entführten Soldaten, die Tatsache der militärischen Präsenz der Hisbollah südlich des Litani und die fortgesetzten Waffenlieferungen aus Syrien und dem Iran an die Hisbollah.“
„Die Hisbollah ist südlich des Litani massiv präsent. Hisbollah-Leute bewegen sich tagsüber nicht in Uniform. Sie haben keine Grenzstellungen wie vor dem Krieg. Aber sie sind militärisch präsent. Sie verfügen über Raketen südlich des Litani. Sie verfügen über Truppen südlich des Litani. Sie verfügen über Beobachtungsposten und Spionage in den Dörfern entlang der Grenze.“
„Vor uns steht eine stärkere Hisbollah. Aber auch die Fähigkeiten des Staates Israel, mit ihr umzugehen, sind stärker geworden.“
„Die Bedrohung des Staates Israel durch Raketen der Hisbollah ist eine erhebliche Bedrohung. Sie beinhaltet Raketen jedweder Reichweite bis hin zu einer Waffe, die man als Boden-Boden-Rakete bezeichnen kann. Diese Waffe deckt heute bedeutende Gebiete des Staates Israel ab. Sie sorgt dafür, dass die Heimatfront verwundbarer ist als zuvor. Die Verwundbarkeit der Heimatfront steht im Zentrum unserer geheimdienstlichen Einschätzung.
Die Hisbollah hat die Lektionen des Krieges gelernt, ihre schwachen Punkte, aufgrund derer sie im Krieg gescheitert ist. Sie versucht, daran zu arbeiten. Im Vorfeld eines möglichen Konflikts plant die Hisbollah eine kombinierte Schussanordnung mit steiler, auf die israelische Heimatfront abzielender Schussbahn, und parallel dazu versucht sie eine Bodenanordnung zu errichten, die erfolgreich einer Landschlacht standhält, was in den Augen der Hisbollah die zentrale Lehre der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) aus dem Krieg von 2006 gewesen ist.“
“Einige der Wandlungen, die die Hisbollah durchläuft, zwingen sie dazu, von der Form einer Terrortruppe zu Charakteristika einer konventionellen Armee überzugehen. So in der Aufstellung, dem Waffenbestand, wie auch in Hinsicht auf Kommando und Kontrolle. Dieser Übergang ist für die Hisbollah nicht nur von Vorteil. Er nimmt ihr einige der Vorteile, die sie als glitschig-entschlüpfende Gruppierung besessen hat, die eine Zivilbevölkerung angreift und sich hinter dem Rücken einer Zivilbevölkerung versteckt.“
„Die Ereignisse der vergangenen Woche stellen eine interessante Aktualisierung der jährlichen Lageeinschätzung des israelischen Militärgeheimdienstes (AMAN) dar. Der AMAN hat von vornherein die Schwächung der Koalition der Moderaten und die Stärkung der Opposition um die Hisbollah vorausgesagt. Die Hisbollah hat diese Woche nicht versucht, die Macht im Libanon zu übernehmen. Wenn sie das hätte tun wollen, hätte sie es tun können. Sie hat die Fähigkeit, ganz Beirut innerhalb weniger Tage zu erobern. Aber die Hisbollah will nicht die Hamas sein. Sie versteht, dass die volle Regierungskontrolle Verantwortung bedeutet und viele ihrer schwachen Punkte offenbar werden würden. So ist eine Situation, in der sie Macht besitzt, aber keine Autorität ihr am genehmsten.
Durch ihr Vorgehen in dieser Woche hat sie bewiesen, dass sie die stärkste Kraft im Libanon ist. Man bedenke: Die Hisbollah ist stärker als die libanesische Armee. Darüber hinaus ist auch die libanesische Armee aus Einheiten zusammengesetzt, die mehrheitlich Schiiten sind, die sich im Konfliktfall auf die Seite der Hisbollah schlagen werden. In den letzten Tagen ist nun klar geworden, dass die libanesische Armee nicht dazu bereit ist, den Interessen der libanesischen Regierung zu dienen. Daher bleibt Ministerpräsident Fuad Siniora ohne militärische Macht. Die Macht, die hinter ihm steht, ist rein politisch, moralisch und international. Bei einer bewaffneten Auseinandersetzung ist das Kräftegleichgewicht zwischen der Regierung und den Moderaten, die sie repräsentiert, klar. Die Tendenz ist absolut klar.“
„Die Hisbollah befindet sich seit 1982 im Aufstieg. Besonders ist sie nach dem einseitigen Rückzug [Israels] im Jahr 2000 gestärkt worden. Ihr gegenwärtiges Ziel ist der Sturz der Regierung Siniora, die Wahl eines bequemen Präsidenten und eine Verfassungsänderung im Regierungssystem. Dadurch wird sie eine Lage schaffen, in der sie ein Vetorecht in Bezug auf alles, was ihr schaden könnte, haben würde. Die Hisbollah ist noch nicht am Ziel angelangt, aber die derzeitige Gewaltaktion bringt sie dem Ziel näher. Was die auf ordentlichem politischem Weg oder durch einen Volksaufstand nicht erreicht hat, erreicht sie nun durch den Einsatz militärischer Macht. Wegen eigener Beweggründe will die Hisbollah jetzt keinen militärischen Umsturz. Aber die grundsätzliche Frage ist, ob der Libanon ein Hanoi oder ein Hongkong sein wird. Die Aussicht auf ein Hongkong wird immer geringer.
„Es wäre falsch zu sagen, dass die Übernahme des Libanon durch den Iran diese Woche stattgefunden habe. ‚Libanons Schwager’ [die iranische Macht im Libanon] und seine Revolutionswächter sind seit Jahren Hausgäste im Libanon. Mit dem Rückzug der Syrer im Jahr 2005 ist der iranische Einfluss erheblich gewachsen. Das Vakuum, das die Syrer hinterließen, haben die Ideologie, die Finanzierung, die Waffen und das Know-how aus dem Iran gefüllt.“ Dennoch kann der Iran nicht jeden Schritt in solch einem komplizierten und komplexen Land bestimmen. Israel muss ein Auge darauf werfen, wie die Hisbollah erstarkt und seine Stellung im Libanon im Dienst fremder Mächte – den Iranern und anderen – festigt.“
(Haaretz, 16.05.08) |