Von Alexander Yakobson
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Hamas in Gaza derzeit an einer Waffenruhe interessiert ist. Das Raketenfeuer auf Israel von Seiten bewaffneter Gruppierungen, die sich der Autorität verweigern – einschließlich Fatah-Leute -, führt zur wiederholten Schließung der Grenzübergänge durch Israel und nimmt der Hamas einen der aus ihrer Sicht primären Vorteile der Waffenruhe: die Aufhebung der Blockade Gazas. Die israelische Regierung, die ebenfalls an einer Waffenruhe interessiert ist und nicht den Rat befolgt, auf jeden Beschuss militärisch zu reagieren, kann es sich auch aus politischer Perspektive nicht erlauben, die Grenzübergänge offen zu halten, während der Negev beschossen wird.
Letzten Endes würde jedoch bei einer Fortsetzung des Beschusses auch eine militärische Reaktion erfolgen. Die Führer der Hamas verstehen dies und wollen es nicht. Die Äußerungen gegen den Beschuss sind scharf und eindeutig, und eine der extremsten Führungsfiguren der Bewegung, Mahmoud A-Zahar, hat denjenigen, die gegen die Waffenruhe verstoßen, bereits mit Haft gedroht. Und dennoch, der Beschuss geht weiter. Scheinbar verlassen sich die Täter darauf, dass die Hamas es sich nicht leisten kann, von den jüngst immer stets wiederholten Stellungnahmen ihrer Führer zurückzuweichen, dass sie, obwohl das palästinensische Interesse derzeit eine Waffenruhe erforderlich macht, nicht als Polizisten Israels fungieren und ihre Waffen nicht auf andere palästinensische Gruppierungen richten werden, um seine Sicherheit zu verteidigen.
Eine Regierung, die von vornherein mit ihr auf ihrem Territorium rivalisierenden Milizen versichert, ihre Autorität nicht mit Zwang durchzusetzen, hat keinerlei Aussicht darauf, dass sie ihr gehorchen werden. Sie hat im Gegenteil hervorragende Aussichten, ihren Weg letztendlich so zu beenden wie die Regierung der Fatah ihren Weg in Gaza beendet hat. Diejenigen, mit denen sie nicht aneinander geraten wollte und denen sie erlaubte, Macht anzuhäufen, werden sie im passenden Moment zu Fall bringen. Der Weg dahin ist in Gaza noch sehr weit, aber die Richtung ist klar. Die mehrstöckigen Gebäude, von denen Hamas-Leute während des Putsches in Gaza Mitglieder der Fatah gestürzt haben, stehen noch immer.
Der besagte Slogan – wir werden nicht als Polizisten Israels fungieren, wir sind nicht die südlibanesische Armee -, den die Fatah-Leute sich noch in den Anfangsjahren der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu Eigen gemacht haben, ist es, was mehr als alles andere das Schicksal des Oslo-Prozess entschieden hat. Er ist es, was auch das Schicksal der Fatah-Regierung in Gaza entschieden hat und heute ihre Regierung im Westjordanland bedroht.
Aus Israels Perspektive verhöhnt dieser Slogan das Prinzip Land gegen Frieden: Er stellt sich, dass Israel je mehr Gebiete es räumt, desto weniger Frieden erhält – und das unabhängig vom Willen der palästinensischen Führung. Es gab Zeiten, noch vor dem September 2000, in denen Yasser Arafat an Terroranschlägen interessiert war und der Slogan somit nur als Vorwand diente. Es gab aber auch Zeiten, in denen er Ruhe wollte und diese Ruhe von seinen Rivalen gestört wurde.
Hochrangige palästinensische Sicherheitsleute haben die schweren Gefahren erkannt, die in der bewaffneten Anarchie in den Gebieten liegt, und die Führung dazu gedrängt, Macht zu demonstrieren. Es gab Zeiten, in den die PA daher Anschläge verhinderte; niemals jedoch ist eine gezielt Anstrengungen unternommen worden, die bewaffneten Milizen zu entwaffnen und die Grundregel durchzusetzen, ohne die eine Regierung nicht bestehen kann: das Monopol auf legitime Gewaltanwendung.
Mahmoud Abbas hat von Beginn der gegenwärtigen Auseinandersetzungen an offen und mutig die Anschläge und den bewaffneten Kampf gegen Israel verurteilt. Es besteht kein Grund, an der Ernsthaftigkeit seiner Worte zu zweifeln – sie haben nichts zu seiner Popularität in jenen Tagen beigetragen, als sich unter den Palästinensern die Annahme durchsetzte, dass einige gesprengte Autobusse die israelische Gesellschaft zum Zusammenbruch bringen würden. Aber auch Abbas klebte an der Vorstellung fest, dass es erlaubt sei, diejenigen, die Israel entgegen der Haltung der Führung angriffen, zur Einstellung ihrer Taten zu überreden zu versuchen, und sie hin und wieder auch zu stören, aber nicht mit ihnen aneinander zu geraten, geschweige denn gegen sie zu kämpfen – schließlich galt „Wir sind nicht die Polizisten Israels“.
Tatsächlich sollte eine palästinensische Regierung nicht Polizist Israels sein. Sie sollte nicht auf israelischen Druck hin gegen den Terror vorgehen, sondern aus eigener Initiative und eigenem Antrieb. Eine Nationalbewegung kann Interesse an Frieden haben, an einer Waffenruhe oder an Krieg; schwer vorstellbar ist allerdings der Zustand, dass sie das Interesse hätte, in Form einer Ansammlung von Banden zu agieren. Sicherlich sollte es die israelische Politik der palästinensischen Führung leichter machen, ihre Autorität durchzusetzen. Der palästinensische Unwille dies zu tun, beruht jedoch nicht nur auf Schwäche. Er ist verbunden mit dem Mangel an der Legitimität Israels – und nicht nur der Besatzung – innerhalb der palästinensischen öffentlichen Meinung.
Trotz allem ist die Frage des Verhältnisses zu Israel letzten Endes nicht die Hauptsache. Die primäre Frage ist, ob es eine palästinensische Führung – gleich welcher ideologischen Couleur - geben wird, die wie eine nationale Führung und wie eine Regierung handelt – eine Regierung, die ihr eigener Polizist ist.
(Haaretz, 14.07.08) |