Freitag, 22.08.2008




Die ägyptische Rechnung

Von Alexander Yakobson

Der langjährige ägyptische Botschafter in Israel, Mouhmad Bassiouni dementiert die Meldungen ägyptischer Zeitungen, denen nach er jüngst gesagt habe, als Geheimdienstoffizier und nicht als Diplomat nach Israel geschickt worden zu sein. Bei dieser Gelegenheit wurden jedoch noch weitere Aussagen von ihm zitiert. Unter anderem habe Bassiouni gesagt, dass es während seines Aufenthalts in Israel zu keinen freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihm und Israelis gekommen sei: „So etwas wie Freundschaft mit Israelis gibt es nicht.“ Und mehr als das: „So etwas wie eine israelische Gesellschaft gibt es nicht, das ist eine Ansammlung von Einwanderern aus verschiedenen Ländern.“ Und die israelische Demokratie? Auch so etwas gibt es nicht, meint Bassiouni.

Ganz gleich, ob diese Worte nun wirklich ausgesprochen und von ägyptischen Journalisten so gehört wurden, muss man betonen, dass derlei und noch weitaus Schlimmeres regelmäßig von Vertretern der ägyptischen Bildungseliten über Israel und Israelis geäußert wird. Es geht hierbei nicht nur um politische Kritik oder die Ablehnung der israelischen Diplomatie, sondern um eine „Ablehnung des Anderen“ der extremsten Art.

Der „Andere“ ist nicht nur der Israeli. Das staatliche ägyptische Fernsehen strahlt Sendungen aus, die auf den „Protokollen der Weisen von Zion“ basieren. Antisemitismusvorwürfe weisen die Ägypter mit der Routinebehauptung zurück, dass die Araber Semiten seien und man sie daher nicht des Antisemitismus bezichtigen könnte. Das ist eine besonders miserable Ausrede. Nach dieser Logik kann per definitionem auch kein Jude des Rassismus gegenüber Arabern beschuldigt werden, da auch die Juden Semiten sind.

In Ägypten sind Medienleute und Akademiker, Schriftsteller-, Künstler- und Juristenverbände stets die ersten, die zu einem Boykott alles Israelischen aufrufen und den Boykottbrechern drohen. In kultureller Hinsicht ist es klar, dass Nagib Mahfuz, der den Frieden und die Versöhnung mit Israel unterstützt hat, allein all jene Schriftsteller- und Künstlerverbände aufwiegt, die Hass verbreiten; in Hinsicht auf die Atmosphäre in der Öffentlichkeit ergibt sich jedoch ein düsteres Bild.

Die offizielle ägyptische Politik hält zwar am Friedensvertrag fest, wird jedoch von dieser Atmosphäre beeinflusst – auch bei folgenschweren Fragen wie der Bereitschaft zum entschlossenen Vorgehen gegen den Waffenschmuggel nach Gaza.

So haben sich die Anhänger des Friedens mit Ägypten den Frieden nicht vorgestellt. Beim Besuch Anwar Sadats in Jerusalem gab es eine Dimension wirklicher Größe und einer historischen Wegscheide. Dieses Kapitel von Wagemut und Hoffnung ist der Geschichte der Beziehungen zwischen beiden Völkern eingeschrieben, aber man darf nicht über das hinwegsehen, was sich vor unseren Augen abspielt.

War der Friedensvertrag mit Ägypten – zum Preis des Rückzugs vom Sinai und der Räumung der dortigen Siedlungen – also ein schlechtes Geschäft? Viele der Anhänger des Prinzips ‚Land für Frieden’ schrecken vor diesem Schluss sowie seinen Folgerungen in Bezug auf andere Schauplätze zurück und ziehen es vor, den schweren und zerfurchten Seiten unseres Verhältnisses mit Ägypten auszuweichen. Es gibt solche, die noch fragwürdige Ausreden für das ägyptische Verhalten liefern, wie etwa, dass die Ägypter aus einer verständlichen Identifikation mit den Palästinensern heraus agieren.

Es ist freilich eine Tatsache, dass die ägyptische Feindseligkeit gegenüber Israel sehr viel größer ist als die ägyptische Zuneigung zu den Palästinensern, geschweige denn die Unterstützung derselben. Ebenso klar ist, dass in dieser Feindseligkeit auch nicht wenig Neid mitschwingt.

Die Frage, ob der Verzicht auf den Sinai richtig war, muss und kann man dennoch positiv antworten. Das Friedensabkommen mit Ägypten war nicht einfach ein guter Deal, sondern eine außergewöhnliche Errungenschaft, einer der großen diplomatischen Siege in der Geschichte des Staates. Diese Errungenschaft brachte Israel eine jahrzehntelange Periode ohne Krieg mit Ägypten; ein Ergebnis, dass man auf keinem anderen Wege hätte erreichen können. Das Ausscheiden Ägyptens aus dem Kreislauf der Kriege hat für Jahrzehnte auch Syrien die Möglichkeit zu einem Krieg mit Israel genommen.

Darüber hinaus hat der Friedensvertrag es Israel ermöglicht, die Verteidigungsausgaben deutlich zu reduzieren. Dadurch hat er viel zur wirtschaftlichen Vorwärtswende beigetragen, die eine der Hauptgrundlagen für die Stärke des Landes ist. Der Friedensvertrag hat des den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (ZAHAL) ermöglicht, die Grenze im Süden mit wenigen Truppen zu sichern und ihre Truppen in der Stunde der Not an einen anderen Schauplatz zu verlegen.

Man sagt, der Frieden ist ein Zustand, in dem es weder Gewinner noch Verlierer gibt. Diese Sentenz bezieht sich jedoch auf den Normalzustand, in dem zwei benachbarte Staaten die Legitimität des anderen für selbstverständlich nehmen. Wäre eine wirkliche Friedensvision und eine wahre Versöhnung zwischen Ägypten und Israel verwirklicht worden, könnte man dies auch über diesen Frieden sagen. Wenn aber die ägyptischen Eliten Israel weiterhin als illegitimen und verhassten Fremdkörper in der Region betrachten, mit dessen Existenz man sich nur gezwungenermaßen und zähneknirschend abfinden muss – dann lässt sich sagen, dass Jahrzehnte ohne Krieg zwischen Ägypten und Israel doch ein Zustand sind, in dem es Sieger gibt. Der Staat Israel ist der Sieger.

(Haaretz, 21.08.08)