Von Amia Lieblich
Tzipi Livni wurde als politischer Mensch zur Parteivorsitzenden gewählt und kandidiert als ein solcher für das Amt des Ministerpräsidenten. Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, sollte weder für noch gegen sie sprechen.

Doch haben Livni und ihre Berater Recht: Was immer ihre Meinungen, Pläne und Begabungen sind – in den Augen der Öffentlichkeit stellt die Tatasche, dass sie eine Frau ist, ein Hindernis auf dem Weg zur Regierungsspitze dar. Lagen doch seit Beginn der menschlichen Zivilisation die Führungsämter in den Händen von Männern. Weil sie eine Frau ist, sprechen ihr viele die Befähigung ab, die Staatsgeschäfte zu führen, insbesondere in Sicherheitsfragen. Andere sind aus religiösen Gründen nicht begeistert von der Positionierung einer Frau in der Rolle der politischen Führerin. Um ihre Wähler davon zu überzeugen, dass sie würdig ist, muss Livni nicht nur ihre Ideen erfolgreich vermarkten, sondern sich auch anstrengen, die Vorurteile hinsichtlich ihres Geschlechts aus dem Weg zu räumen.
Obgleich das Geschlecht eines Menschen das hervorstechende Charakteristikum seiner Identität ist, sagt das Frausein Livnis nichts aus über ihre Pläne und Kompetenzen als mögliche Staatschefin. Die verzweigte psychologische Forschung der letzten 50 Jahre hat die Mehrzahl der verbreiteten Vorstellungen in Bezug auf Unterschiede in Verhalten und Charakter zwischen Männern und Frauen vom Tisch gefegt. Die Behauptung, dass Frauen mitleidsvoller, furchtsamer oder friedliebender sind als Männer, entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Basis. Auch wenn im Durchschnitt kleine Unterschiede bestehen zwischen Mann und Frau – die Ähnlichkeit ist größer als die Unterschiedlichkeit.
Trotz des Gewichts der wissenschaftlichen Befunde sind noch immer Stereotypen bezüglich von Verhalten und Charakter von Männern und Frauen im Umlauf. Man ist überzeugt, dass systematische Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen, und dass das Geschlecht eines Menschen erkennen lässt, ob er weich oder tapfer, dominant oder devot ist. Daher muss sich eine Frau viel mehr als ein Mann anstrengen, um von ihrer Seriosität zu überzeugen. Ganz unabhängig von der Frage, ob Livni eine Feministin ist oder nicht – bei ihrem Rennen um das Amt des Ministerpräsidenten muss sie eingewurzelte Stereotypen bekämpfen, denen nach sich Macht und Weiblichkeit nicht vereinbaren lassen.
Da der ‚Standard’ des Menschen der Mann ist, gibt es kein Entrinnen vor der unaufhörlichen Beschäftigung mit der Weiblichkeit Livnis – so auch in diesem Beitrag. Wie sind ihre Beziehungen zu ihrem Mann und ihren Kindern? Wer kocht zuhause? Ähnlich Fragen stellte man auch zu Golda Meir, und über männliche Kandidaten pflegt man sehr viel weniger zu fragen. Die Wahlkampfleiter Livnis versuchen auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen: Sie verzichten nicht auf die Hervorhebung der weiblichen Seite der einzigen weiblichen Kandidatin, womöglich auch aus dem Grund, dass ihr Verhältnis zu ihrem Mann und ihre Kochkünste der Öffentlichkeit leichter zu vermitteln sind als ihre politischen Einstellungen. Andererseits ist die Unnachgiebigkeit in ihrem Führungsstil, ihrem Erscheinungsbild und ihrer Ausdrucksweise erkennbar, wie sie in einem Slogan ihrer Wahlwerbung zum Ausdruck kommt: „Sie ist der einzige Mann in der Regierung.“
All diese in langjährigen kulturellen Traditionen verankerten Stereotypen sind auch dafür verantwortlich, dass das äußere Erscheinungsbild weiblicher Kandidaten, Haarschnitt und Kleidung, mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als das von Männern. Mann sollte sich vor solch einem neugierigen Blick und der Geringschätzung der Frau, die für das wichtigste Amt im Staate Israel kandidiert, hüten. Ob man nun Livni wählt oder nicht – dies darf nicht wegen ihrer Weiblichkeit geschehen. Das Image dessen, der für das Amt des Ministerpräsidenten kandidiert, muss auf einer klaren politischen Position in den Fragen von Sicherheit und Wirtschaft gegründet sein, die nichts mit Geschlecht oder Gender zu tun haben.
Avia Lieblich ist Emerita für Psychologie an der Hebräischen Universität Jerusalem.
(Haaretz, 03.02.09)
Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder. |