Dienstag, 07.04.2009




Mit der Hamas reden
Von Shlomo Avineri

In letzter Zeit hört man mehr und mehr Stimmen, die besagen, der einzige Weg, ein israelisch-palästinensisches Abkommen zu erreichen, bestehe darin, mit der Hamas zu reden. Diese Stimmen sind nicht nur in Europa zu vernehmen, sondern auch in den Vereinigten Staaten. So sagten etwa der New York Times-Kolumnist Roger Cohen und der nationale Sicherheitsberater unter US-Präsident George Bush Sr., Brent Sowcroft, ohne Dialog mit der Hamas werde es keinen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern geben. Und wenn Israel sich weigere, diesen Dialog zu führen, sollten die Europäer oder die Amerikaner das Gespräch mit der Hamas beginnen. Ähnliche Stimmen kann man auch am Rande der israelischen Politik hören.

Ich glaube, dass sie Recht haben, doch nicht aus den Gründen, die sie nennen. Die Frage ist, worüber man mit der Hamas reden soll. Es ist klar, dass wir mit ihr über die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit und über die Beendigung des Raketenbeschusses reden müssen – und Israel spricht in der Tat indirekt mit ihr. Ich denke aber, wir müssen mit der Hamas auch über andere Dinge reden, etwa darüber, was in ihrer Gründungscharta geschrieben steht.

Die meisten Israelis – wie auch Europäer und Amerikaner  - wissen, dass die Hamas nach der Zerstörung Israels trachtet. Was die meisten nicht wissen, ist, dass die Gründungscharta der Hamas eine viel umfassendere Haltung beinhaltet, die sich nicht nur auf Israel und den Zionismus beschränkt, sondern alle Juden betrifft.

Die Präambel der Charta besagt, dass das Ziel der Hamas ein Krieg nicht nur gegen Israel oder den Zionismus sei, sondern gegen das jüdische Volk insgesamt, da nicht nur Israel und der Zionismus sondern alle Juden Feinde des Islam seien. Und um alle Zweifel auszuräumen, widmet sich der gesamte Artikel 22 der detaillierten Aufführung jüdischer Bosheiten.

Gemäß der Hamas sind die Juden verantwortlich für alle Missstände der modernen Gesellschaft: die Französische Revolution, die Kommunistische Revolution, die Gründung von Geheimgesellschaften (Freimaurer, Rotary, Lions Club, Bnei Brith), die ihnen helfen sollten, die Weltherrschaft mit geheimen Mitteln zu erreichen. Sie kontrollieren die Wirtschaft, die Presse und das Fernsehen. Sie sind verantwortlich für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den sie initiiert haben, um das muslimische Kalifat (das Osmanische Reich) zu zerstören, die Balfour-Erklärung zur Gründung eines jüdischen Staates zu erhalten und den Völkerbund zu schaffen, der die Gründung ihres Staates umsetzen sollte. Auch den Zweiten Weltkrieg haben sie initiiert, um ein Vermögen durch den Verkauf von Kriegsmaterial zu verdienen. Sie nutzen sowohl den Kapitalismus als auch den Kommunismus als ihre Komplizen.

Hört sich das bekannt an? Ja, einige dieser Punkte stammen in der Tat direkt aus dem antisemitischen Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Andere Passagen, insbesondere diejenigen, die die Weltkriege betreffen, sind eine genuine Erfindung.

Man sage mir nicht, dies seien nur Worte und die Hamas solle nicht nur auf der Grundlage dieser Charta beurteilt werden. Würde irgendjemand wagen, das zu sagen, wenn eine ähnliche Bewegung in Europa oder Amerika aufkäme und – zusätzlich zu solchen Äußerungen - eifrig damit beschäftigt wäre, Juden zu töten? Verglichen mit dem, was in der Hamas-Charta steht, sind Österreichs Jörg Haider und Frankreichs Jean-Marie Le Pen wirklich moderat.

Wenn eine Bewegung wie die Hamas in Europa hochkäme, würde ohne Zweifel niemand auch nur vorschlagen, dass Verhandlungen mit ihr abgehalten werden müssten oder dass sie an einer Regierung beteiligt werden sollte. Eine solche Bewegung würde nicht nur für illegal erklärt, sondern von der Menschheit verurteilt werden. Ein solcher Gegenstand des Abscheus hätte keinerlei Platz im politischen Diskurs.

Doch vielleicht ist es dennoch der Mühe wert, mit der Hamas zu reden: nicht über ihren Beitrag zum Frieden, sondern gerade über das, was in ihrer Charta steht. Vielleicht werden diejenigen, die die Ansicht vertreten, man müsse mit der Hamas reden, zuerst mit ihr über diese Themen sprechen? Wer weiß, vielleicht ändert die Hamas ja ihre Prinzipien? Ich erwarte nicht unbedingt, dass dies geschieht; doch ich möchte sehr gerne wissen, was diejenigen, die denken, die Hamas sei der Schlüssel zum Frieden in Nahost, zu diesen Punkten sagen. Und vielleicht haben sie ja sogar Recht, vielleicht ist die Hamas in der Tat der Schlüssel. Dann wäre es in Anbetracht einer Organisation mit einer solchen Ideologie schwer zu glauben, dass der Frieden in unserer Region überhaupt eine Chance hat.

Shlomo Avineri ist Emeritus für Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.

(Haaretz, 06.04.09)

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