Donnerstag, 11.06.2009




Der Mythos von den Moderaten
Von Daniel Kliman

Demokratien neigen bedauerlicherweise dazu, dem Mythos von den Moderaten zum Opfer zu fallen. Konfrontiert mit unfreundlichen Regimes, nehmen sie kraftvolle, gemäßigte Elemente war, wo in Wirklichkeit gar nichts dergleichen existiert. Da sich die Obama-Adminstration auf die Eröffnung eines Dialogs mit Teheran zubewegt, wäre es klug, sich an die Lehren der Geschichte zu erinnern und wenig Glauben an den Einfluss der iranischen Reformer zu haben.

Man bedenke nur: Ein autoritärer Staat scheint nahe daran, eine Region von umfassender strategischer Bedeutung zu dominieren. Die Demokratie, die das Kräftegleichgewicht in der Region aufrechterhalten hat, ringt um eine Antwort. Klingt dies bekannt? Ja – die USA und der Iran im Jahr 2009, und auch Großbritannien und Deutschland vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. An beiden historischen Kreuzungen hat sich Großbritannien vom Mythos von den Moderaten in die Irre führen lassen.

Als Europa im Juli 1914 in den Krieg schlingerte, wandte sich die britische Regierung an deutsche Moderate in der Hoffnung, einen militärischen Weltbrand abzuwenden. Eine Zeit lang glaubte der britische Außenminister Edward Grey, dass die zivile politische Führung um Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg als Gegengewicht gegen kriegslustige Elemente innerhalb der deutschen Führung fungieren könnte.

Dieser Glaube war unbegründet. In Wirklichkeit war die zivile Führung Deutschlands zu machtlos, um den Gang in den Krieg zu stoppen. Zudem posaunte die deutsche Diplomatie in der Hoffnung, britische Neutralität zu erhalten, absichtlich die pazifistische Neigung der zivilen Führer heraus. Der Versuch einer Indienstnahme der deutschen Moderaten war nicht nur eine vergebliche Mühe, sie verzögerte auch die britische Aktion, die Deutschland womöglich davon überzeugt hätte, vom Abgrund zurückzutreten – die öffentliche Zusicherung, Belgien zu verteidigen.

Nazideutschland bietet ein ähnlich warnendes Beispiel. Kurz nachdem Hitler 1933 die Macht übernahm, zeigten sich viele innerhalb der britischen Regierung überzeugt, dass das NS-Regime in Extremisten und Gemäßigte gespalten sei. Von letzteren dachte man, dass sie nach friedlichen und wirtschaftlich vorteilhaften Beziehungen mit Großbritannien strebten. Das gab der britischen Regierung die Hoffnung, dass durch die Stärkung der Moderaten ein großer Handel mit Deutschland gemacht und dessen Ambitionen befriedigt werden könnten.

Letztlich erwies sich der Einfluss der Nazi-Moderaten als illusorisch. Die britische Regierung missverstand die inneren Abläufe des Dritten Reichs völlig. Gemäßigte Nazis hatten wenig Macht über Entscheidungen über Krieg und Frieden. Derlei Entscheidungen lagen allein bei Hitler. Darüber hinaus wurde London getäuscht: Die Nazis spielten die Spaltung zwischen Extremisten und Gemäßigten für den britischen Verzehr hoch. Der Trick funktionierte. In der Überzeugung, dass die Nazi-Moderaten eine potentiell hemmende Kraft seien, ließ sich Großbritannien Zeit mit  dem Vorgehen gegen Hitler.

Bei der Konfrontation mit dem Iran muss die Obama-Administration sehr wachsam gegenüber dem Mythos von den Moderaten sein. Sicherlich sind die US-Entscheidungsträger nicht naiv. Aber das waren auch die britischen Politiker 1914 und 1933 nicht. Der britische Glaube an deutsche Moderate war nicht allein ein Wunschdenken, sondern rührte von einer fehlerhaften Analyse her. Da es Deutschlands politischem System in beiden Perioden an Transparenz mangelte, war die Information über die Dynamiken des Regimes begrenzt. Das Fehlen von Information – das wiederum die deutsche List erleichterte -, führte die britische Regierung dazu, potentielle Kräfte der Mäßigung zu imaginieren.

Der Iran scheint reif für eine ähnliche Fehlwahrnehmung. Reformer bekunden Interesse an einer Annäherung an die USA. Für Entscheidungsträger in Washington wird es eine Versuchung sein, die Reformer ins Zentrum einer jeglichen Strategie zum Stopp des iranischen Atomprogramms zu rücken. Schließlich stellen sie einen potentiellen Verbündeten innerhalb des Iran gegen Hardliner wie Präsident Mahmoud Ahmadinejad dar.

Der Entscheidungsprozess im Iran ist jedoch undurchsichtig, und der Einfluss der Reformer ist sehr schwer einzuschätzen. Sie haben womöglich kaum die Fähigkeit, Irans Griff nach Atomwaffen abzuwenden. Womöglich glauben sie sogar, dass der Iran ein Recht auf sie hat. Wenn die USA sich darauf verlassen, dass iranische Reformer internen Druck gegen Atomwaffen erzeugen, riskieren sie, nach Strohhalmen zu greifen.

Dialog mit Teheran ist vielversprechender als die Alternativen – die Akzeptanz einer iranischen Nuklearkompetenz oder ein Präventivschlag. Die USA sollten sich jedoch ohne Illusionen voranbewegen. Nach den Reformern die Hände auszustrecken sollte nur ein peripheres Element der US-Strategie sein. Der Kern muss darin liegen, die wirklichen Machthaber – den Revolutionsrat -  davon zu überzeugen, dass dem Interesse des Iran mehr gedient ist, wenn er den Atomwaffen abschwört. Dies erfordert Zuckerbrot, aber auch die Bereitschaft, die Peitsche einzusetzen. Bei der Erwägung von Strafaktionen sollte die Obama-Adminstration sich insbesondere vor iranischen Versuchen, den Einfluss der Reformer auszuspielen, in Acht nehmen. Die Geschichte zeigt, dass dies eine Verzögerungstaktik nicht-transparenter Regime ist.

Man trete mit dem Iran in Kontakt, aber hüte sich vor dem Mythos der Moderaten. Ansonsten werden die Vereinigten Staaten die strategischen Schnitzer Großbritanniens wiederholen.

Daniel Kliman forscht an der Princeton University.

(The Jerusalem Post, 10.06.09)

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