Donnerstag, 23.07.2009




Auf gepackten Koffern: Mor im Gespräch
Israels scheidender Gesandter Ilan Mor hat der Jungle World ein langes Interview gegeben. Darin unterstreicht der Diplomat den breiten Konsens, der mittlerweile innerhalb der israelischen Bevölkerung in Bezug auf eine Zwei-Staaten-Lösung herrscht, sowie die große Bedeutung der Bar-Ilan-Rede von Ministerpräsident Binyamin Netanyahu. Die israelischen Siedlungen seien nicht das dringlichste Problem auf der Welt.

„Zunächst sah es so aus. Aber die Rede von Netanjahu zwei Wochen nach der von Obama in Kairo war ein Zeichen dafür, dass wieder ein Konsens besteht in Israel. Seine Rede basierte auf der Mitte der Gesellschaft, sie war ein Wegweiser. Ich bitte alle, die sich mit Israel beschäftigen, sich diese Rede vor Augen zu halten. Die Mehrheit der israelischen Gesellschaft steht hinter deren Prinzipien: zunächst einmal die Zwei-Staaten-Lösung. Netanjahu hat sie – buchstäblich – zum Ausdruck gebracht, und das war nicht einfach für ihn. Er hat den palästinensischen Staat auch qualifiziert: Er muss entmilitarisiert sein. Wir sprechen schon länger über eine »Trennung« von den Palästinensern, über ein Ende der Besatzung. Wir wollen nicht länger als Besatzer mit den Palästinensern umgehen. Das passt über¬haupt nicht zu uns als Demokraten. Zwangs¬läufig aber müssen wir diese Rolle einnehmen, denn die Sicherheitslage ist im Moment nicht so, dass wir ohne Wenn und Aber die Gebiete zurückgeben können. Netanjahu hat von einem regionalen Friedensprozess gesprochen, über eine Normalisierung der Beziehungen Israels zu anderen arabischen Staaten. Lauter Dinge, die man schon zig Mal in der Vergangenheit gehört hat, fand man auch in dieser Rede. Das ist also nach wie vor das Konzept der israelischen Außenpolitik.“

„Ich glaube, dass es auf der Welt viele dringende Probleme [als die Siedlungspolitik] gibt. Sich schwerpunktmäßig auf den Ausbau israelischer Siedlungen zu konzentrieren, ist unangemessen. Sicher ist die Siedlungspolitik Israels problematisch, umstritten sowieso. Aber das ist doch nicht das entscheidende Problem. Wir haben uns verpflichtet, in dieser Sache etwas zu tun: Ehud Olmert hatte versprochen, dass es keine neuen Siedlungen gibt, und in der Tat, so ist es. Wir haben uns verpflichtet, die illegalen Außenposten abzuräumen, das werden wir tun. Jetzt besteht ein Gespräch zwischen uns und den USA darüber, wie man mit dem Ausbau von bestehenden Siedlungen verfährt, wir werden eine Vereinbarung finden. Aber dieser Punkt ist nicht das Problem. Das wirkliche Problem ist: Die arabische Welt muss Israel anerkennen. Sie muss akzeptieren, dass Israel Bestandteil des Nahen Ostens ist und dass die Israelis nicht vorhaben, woanders hinzugehen. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer: Wenn es diese offizielle Anerkennung de jure gibt, dann wird die Welt sehr überrascht sein, wie umfangreich die Zugeständnisse Israels sein werden, im Rahmen eines gegenseitigen Kompromisses.“

Im Mittelpunkt des Gesprächs standen freilich die vielfältigen persönlichen und politischen Erfahrungen, die Mor während seiner fünfjährigen Amtszeit in Berlin sammeln konnte.



„Jetzt kann ich es ja sagen: Ich konnte mich auch privat, also inkognito in der Stadt bewegen. Und diese Möglichkeit habe ich fast zu 100 Prozent ausgenutzt. Jedes Wochenende war ich, mit meiner Frau oder alleine, mit Mütze und Sonnenbrille unterwegs – in Berlin und auch außerhalb Berlins. Mittlerweile kennen wir auch das Land Brandenburg sehr, sehr gut. Fast alle größeren und mittleren Städte haben wir dort besucht. Überall phantastische Landschaften und phantastische Leute, auch das Essen: Beelitzer Spargel! Also, ich konnte das richtige Verhältnis von Sicherheit und Freiheit für mich sehr gut organisieren.“

Am Ende wagte der stellvertretende Botschafter Israels noch einen kleinen Blick in die Zukunft:

„Jeder junge Diplomat hat das Ziel, einmal Botschafter zu werden. Ich könnte schon längst Botschafter in Südamerika oder Zentralasien oder in einem Generalkonsulat in den USA sein. Aber kein Job kann ein Ersatz für den Job des Botschafters in Berlin sein. Okay, Washington schon, vielleicht London, Paris oder Peking. Ich war auch schon Gesandter in Peking, aber ich habe keinen Drang, Botschafter in Peking zu werden. Ich habe auch viele Freundschaften hier geschlossen. Allein um meine persönliche Geschichte mit Deutschland zu vervollständigen, wünsche ich mir, eines Tages hier Botschafter zu sein.“

Das vollständige Interview gibt es unter dem folgenden Link: http://jungle-world.com/artikel/2009/30/35908.html

(Jungle World, 23.07.09)