Mittwoch, 18.11.2009




Von von Braun zu Nasrallah
Von Moshe Arens



In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs setzten die Deutschen gegen Großbritannien das ein, was Hitler als die „Waffe der Rache“ bezeichnete. Die V-2-Rakete, die von Wernher von Braun und seinem Wissenschaftlerteam als Terrorwaffe entwickelt worden war, wurde Tag für Tag auf zivile Ziele abgefeuert. Bis die Truppen der Alliierten die Abschussbasen erreichten, waren in Großbritannien 1400 Raketen niedergegangen, 500 davon in London. 900 Einwohner Londons wurden von diesen Raketen getötet.

55 Jahre danach, während des ersten Golfkriegs, schickte der Irak nach Israel Raketen, die nach dem Modell der V-2-Raketen gebaut und aus der Sowjetunion und Nordkorea importiert worden waren. Seit jenem Krieg wurden die Raketen zur bevorzugten Waffe der Feinde Israels. Zehntausende von ihnen, die Zahl wächst jeden Tag, sind im Gaza-Streifen und im Südlibanon stationiert worden und bedrohen alle Bürger Israels. Was man in den Zeiten der auf den Norden Israels abgefeuerten Katyushas als erträgliche Belästigung angesehen hat, ist zu einer strategischen Bedrohung geworden. Man darf die zivilen Verluste nicht unterschätzen, die Israel im Falle eines Angriffs mit diesen Raketen erleiden würde.

Die Rede ist von einer Terrorwaffe, klipp und klar. Je größer die Zahl dieser Raketen, desto mehr schreckt die israelische Regierung – die schwere Verluste unter ihren Bürgern befürchtet – vor einem effektiven Einschreiten gegen die Bedrohung zurück. Die Strategie der Terroristen ist einfach: Wenn sie über ein genügend großes Arsenal von Raketen verfügen, werden sie sie sporadisch auf Israel abfeuern oder andere provokative Aktionen – wie die Entführung von Soldaten – durchführen, im Wissen, dass die Regierung aus Furcht vor massivem Raketenbeschuss auf israelische Ortschaften zögern wird, hart zu reagieren.

Das ist, was mit der Hisbollah im Norden passiert ist. Ihr ohne Unterlass wachsendes Raketenarsenal hinderte die letzten israelischen Regierungen daran, Maßnahmen zur Ausschaltung der Gefahr einzuleiten oder wenigstens effektiv auf die Provokationen zu reagieren. Im zweiten Libanonkrieg beschloss die Regierung Ehud Olmerts letztlich mit außergewöhnlicher Härte zu reagieren, aber sie hat die Arbeit nicht zu Ende geführt. Während des Kriegs wurde der Norden des Landes schwer von Raketen in Mitleidenschaft gezogen, und den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (ZAHAL) gelang es nicht, dem Beschuss ein Ende zu setzen. Heute ist das Raketenarsenal der Hisbollah noch um einiges größer.

In Gaza hat die Hamas die Hisbollah imitiert. Nachdem sie sich ein Arsenal von Raketen aufgebaut hatte, feuerte sie sie über Jahre hinweg auf israelische Ortschaften ab, im Wissen, dass Israel aus Furcht vor weiteren Raketen zögern würde zu reagieren. Diese Situation dauerte bis zur letzten Militäroperation in Gaza an, doch auch diesmal wurde die Mission nicht vollendet. Heute verfügt die Hamas über ein noch größeres Raketenarsenal, und sie setzt dieselbe Strategie fort: Ab und an schickt sie einige Raketen nach Israel, in der Annahme, dass die Regierung nicht reagieren wird. Die Veröffentlichung des Goldstone-Berichts hat sie nur in ihrer Sicherheit bestärkt, dass Israel sich weiter zurückhalten und keine Aktion einleiten wird.

Es handelt sich hier um eine aus israelischer Sicht unerträgliche Situation. Die Zivilbevölkerung Israels wird von Norden und Süden her von Terroristen als Geisel gehalten. Die Reichweite der Raketen deckt inzwischen sein gesamtes Territorium ab.  Schwer zu glauben, dass irgendein Staat bereit sein würde, dies auf längere Sicht hinzunehmen. Als die Vereinigten Staaten 1962 von der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba bedroht wurden, forderte Präsident John F. Kennedy, der verstand, dass die permanente Gefahr von Raketen die nationale Sicherheit schwer beeinträchtigen würde, ihre Entfernung. In gleicher Weise ist die ständige Bedrohung durch Raketen von Seiten verantwortungsloser Terrororganisationen wie Hisbollah und Hamas eine handfeste Gefahr für die Sicherheit Israels.

Diese Gefahr muss ausgeschaltet werden. In einem ersten Schritt muss die israelische Regierung klar machen, dass die Stationierung von Raketen nicht hinnehmbar ist, und fordern, dass jede weitere Lieferung sofort aufhören muss. Darüber hinaus muss die Regierung betonen, dass das bestehende Raketenarsenal früher oder später verschwinden muss.

Moshe Arens war Außen- und Verteidigungsminister des Staates Israel.

(Haaretz, 18.1.09)

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