Von Ari Shavit
Binyamin Netanyahu hat zweimal Geschichte gemacht. Das eine Mal, als er sich in der Bar-Ilan-Rede die Zwei-Staaten-Lösung zu Eigen machte, das andere Mal als er vor einer Woche die Einfrierung der Bautätigkeiten in den Siedlungen beschloss. Die Palästinenser lehnen seien Schritte ab. Die Europäer behaupten, sie seien nicht genug. Die Zweifler zweifeln, die Zyniker sind zynisch. Aber die Wahrheit ist, dass Netanyahu sich 2009 an der Linken des Yitzhak Rabin von 1995 positioniert hat.
Im Gegensatz zu Rabin ist Netanyahu heute mit der Gründung eines entmilitarisierten palästinensischen Staates einverstanden. Im Gegensatz zu Rabin hat er Anweisungen zum Baustopp im gesamten Judäa und Samaria erteilt. Sowohl ideologisch als auch praktisch hat Netanyahu den Rubikon überschritten. Er hat sich selbst neu definiert als Mann der Mitte.
Anfang dieses Jahrzehnts hat Ariel Sharon einen ähnlichen Prozess durchlaufen: Die Road Map war seine Bar-Ilan-Rede. Sie drückte die Akzeptanz der Idee von zwei Staaten aus, wobei sie darauf insistierte, dass essentielle Grundbedingungen vor der Gründung Palästinas erfüllt sein müssten.
Doch kurze Zeit nach Adaption der Road Map entdeckte Sharon, dass ihre Pfade in eine Sackgasse führten. Es gab keine Palästinenser, die den Grundbedingungen entsprachen, keine Palästinenser, die in der Lage waren, ein Endstatusabkommen zu unterzeichnen, keine Palästinenser, die die Macht zur Realisierung des Friedens hatten. Als der Vater der Siedlungen am Ende zum Vertreter der Teilung des Landes wurde, stellte sich heraus, dass es keinen palästinensischen Führer gab, der ebenso der Teilung des Landes verpflichtet war.
So kam die Abkoppelung vom Gaza-Streifen zur Welt. Obgleich Sharon sich ihrer Mängel bewusst war, verstand er, dass die Abkoppelung das einzige Arbeitsprogramm war, das ein Führer der israelischen Mitte ohne wirklichen Partner für einen Frieden umsetzen konnte.
Sechs Jahre später steht Netanyahu an genau dem gleichen Punkt. Er akzeptiert das Prinzip der zwei Staaten und erhält keine Antwort. Er setzt den Siedlungsbau aus und wird zurückgewiesen. Er umwirbt Mahmoud Abbas und erntet Verachtung. Der Sohn des persönlichen Sekretärs von Ze’ev Jabotinsky sucht die historische Versöhnung mit den Palästinensern, und die Palästinenser knallen die Tür zu. Er bietet der palästinensischen Nationalbewegung Verhandlungen zur Gründung eines palästinensischen Nationalstaats an und entdeckt, dass es niemanden und nichts zum Reden gibt. Absolut nichts. Eine undurchdringliche Mauer.
Wenige Menschen kennen Netanyahu aus persönlichster Nähe. Aber unter diesen Wenigen gibt es solche, die bezeugen, er habe eine Wandlung durchlaufen. Nicht die Gebiete stehen im Mittelpunkt seines Interesses, sondern Israels Macht. Nicht die Siedler sind seine Herzensangelegenheit, sondern die Stärke des Judenstaats. Legte man ihm also das Angebot von Garantien für Israels Sicherheit für einen schmerzhaften Rückzug auf den Tisch, würde Netanyahu nicht zögern. Die Tragödie ist, dass es kein Angebot und keinen Tisch gibt. Es gibt noch nicht einmal einen Beginn von Verhandlungen. Abbas gibt Netanyahu rein gar nichts, mittels dessen er die zentralistische Weltsicht umsetzen könnte, die er adaptiert hat.
Beim gegenwärtigen Stand der Dinge hat Netanyahu zwei Möglichkeiten. Die eine ist der Mofaz-Plan: die Gründung eines palästinensischen Staaten innerhalb temporärer Grenzen. Die zweite ist die Abkoppelung Nummer 2, die Räumung von etwa 20 Siedlungen im Westjordanland und ihre Übergabe an die Regierung Salam Fayads. Der Plan von Shaul Mofaz hat viele Vorteile, aber er weckt bei Netanyahu die Sorge vor einer unbegrenzten und ungezügelten palästinensischen Souveränität. Insofern könnte er sich gezwungen fühlen, ernsthaft die zweite Option in Betracht zu ziehen. Es ist nicht auszuschließen, dass Netanyahu sich 2010 wie Sharon 2004 in der Lage wieder finden wird, den Prozess eines begrenzten Rückzugs voranzutreiben.
Die Abkoppelung 2 muss grundverschieden sein von der Abkoppelung 1. Sie muss in Abstimmung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde vollzogen werden, unter internationalem Schutzschirm, und sie muss das geräumte Gebiet zu einem Gebiet des wirtschaftlichen Wohlstands machen. Sie muss Waffenschmuggel und militärische Aufrüstung verhindern und Israels Recht auf Selbstverteidigung gewährleisten. Sie muss Teil eines umfassenden strategischen Konzepts sein, das beide Völker mit maßvollen, behutsamen und abgestimmten einseitigen Schritten dem Frieden entgegenführt. Die Abkoppelung 2 muss eine verbesserte Abkoppelung sein, mit außenpolitsicher Dimension und wirtschaftlicher Tiefe. Sie muss die Gemäßigten stärken, Palästinenser wie Israelis.
Wenn sich Netanyahu zur Abkoppelung 2 durchringt, wird dies Israel an allen Fronten Erleichterung verschaffen. In politischer Hinsicht wird sie Netanyahu genauso dienen, wie die Abkoppelung 1 Sharon gedient hat. Sie wird den Ministerpräsidenten zu neuen Führer der israelischen Mitte machen.
(Haaretz, 03.12.09)
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