Donnerstag, 28.01.2010




Netanyahu spricht in Auschwitz
Israels Ministerpräsident Binyamin Netanyahu hat am Mittwoch anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktages eine Rede im nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz, das vor 65 befreit wurde.

„Ich möchte der Regierung Polens für das historische Bemühen danken, der größten Katastrophe, die mein Volk befiel, und des größten Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu gedenken.

Wir, Polen und Juden, sind hier zusammengekommen, am Scheideweg der Tragödie. Unsere lange gemeinsame Geschichte schließt erstaunliche kulturelle Errungenschaften und den tiefsten Tiefpunkt ein, den die Menschheit je erfahren hat. Wir waren hier. Wir gedenken derer, die zu Tode erfroren sind. Wenn sie nicht zu Tode erfroren, wurden sie mit Gas exekutiert und in den Öfen verbrannt. Wir erinnern uns auch daran, dass ein Drittel der Gerechten unter den Völkern, die ihr Leben und das ihrer Kinder und ihrer Familien riskierten, um andere zu retten, Polen waren. Wir erinnern uns an all das.

Da wir hier stehen, um uns die Vergangenheit zu vergegenwärtigen, helfen wir dabei, eine Zukunft des Anstands, der Wahrheit und der Hoffnung für unsere beiden Völker und für die gesamte Menschheit zu schaffen.

Nun möchte ich auf Hebräisch sprechen, der wieder geborenen Sprache des Volkes, das die Nazis auslöschen wollten.

Die Stimmen von Millionen meines Volkes, die vergast, verbrannt und auf tausenderlei Weise ermordet wurden, steigen von diesem verfluchten Boden auf. Im letzten Moment ihres Lebens flüsterten oder schrieen viele die zeitlosen Worte unseres alten Volkes: „Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist Einer.“ Einige nutzten ihre letzten Atemzüge womöglich, um ein andere jahrhundertealtes Gebet zu psalmodieren: „Gedenke dessen, was Amalek dir antat. Vergesse niemals!“

Zu jenen, die hier ermordet wurden, und jenen, die die Zerstörung überlebten, bin ich heute aus Jerusalem mit einem Versprechen gekommen: Wir werden niemals vergessen! Niemals werden wir denen, die dieses Mahnmal des Todes geschändet haben, erlauben, Eure Erinnerung auszulöschen. Wir werden uns stets daran erinnern, was Amaleks Nazis euch angetan haben. Wir werden darauf vorbereit sein, uns zu verteidigen, wenn ein neuer Amalek auf der Bühne der Geschichte erscheint und abermals damit droht, die Juden zu vernichten.

Wir werden uns keinen Illusionen hingeben und glauben, dass die Bedrohungen, Schmähungen und Holocaust-Leugnungen schlicht leere Wort sind. Wir werden niemals vergessen. Wir werden immer auf der Hut sein.

Der Holocaust-Schriftsteller K. Zetnik nannte die Todeslager in seiner Zeugenaussage im Eichmann-Prozess einen „anderen Planeten“. Aber die Schrecken des Holocaust ereigneten sich nicht in einer weit entfernten Welt, sondern genau hier auf der Erde. Es war nicht das Werk bestialischer Tiere, sondern bestialischer Menschen, abscheulicher und verabscheuungswürdiger Mörder.

Die wichtigste Lehre aus dem Holocaust ist, dass ein mörderisches Böses frühzeitig gestoppt werden muss, solange es noch in den Kinderschuhen steckt und bevor es seine Pläne ausführen kann. Die aufgeklärten Nationen dieser Welt müssen diese Lehre lernen.

Wir, die jüdische Nation, die ein Drittel unseres Volkes auf Europas blutgetränktem Boden verloren hat, haben gelernt, dass die einzige Garantie für die Verteidigung unseres Volkes ein starker Staat Israel und die israelische Armee sind. Wir haben gelernt, die Nationen der Welt vor herannahender Gefahr zu warnen, aber uns gleichzeitig darauf vorzubereiten, uns selbst zu verteidigen.

Als Regierungschef des jüdischen Staates schwöre ich Ihnen heute: Nie wieder werden wir dem Bösen erlauben, das Leben unseres Volkes und das Leben unseres eigenen Landes auszulöschen.

Ich bin heute aus Jerusalem hierher gekommen, um denen, die hier zugrunde gegangen sind, zu sagen: Das Volk Israel lebt! Wir sind in unser Heimatland zurückgekehrt, das Land unserer Väter, in unsere Hauptstadt Jerusalem. Wir sind aus allen Teilen der Welt gekommen – Holocaust-Überlebende und jüdische Flüchtlinge aus arabischen Ländern, Juden aus der Sowjetunion und aus Äthiopien, aus Polen und aus dem Jemen, aus Rumänien und aus dem Irak, aus Frankreich und aus Marokko, Juden aus siebzig Ländern und fünf Kontinenten.

Einige, die kamen, hätten es fast nicht mehr geschafft. In Baracke Nr. 17 im Lager Birkenau, einige wenige Meter von hier, war ein 17jähriger jüdischer Jugendlicher untergebracht, der unter den 80 Peitschenhieben litt, die er im Ghetto von den Nazi-Folterknechten erhielt. Niemand glaubte, dass der Junge überleben würde, aber er überlebte und entfloh aus dem Lager. Nach dem Sieg über die Nazis vor 65 Jahren wanderte er nach Israel ein. 15 später war er der israelische Polizist, der Adolf Eichmann bewachte, als der jüdische Staat den Nazi-Schergen vor Gericht brachte.

Dieser junge Mann ist Michael Goldman. Mit seiner Frau Eva gründete er eine Familie in Israel, und mittlerweile haben sie fünf Kinder und neun Enkelkinder. Michael ist heute bei uns – ein Zeuge des Holocaust, ein Zeuge der Erlösung

Das jüdische Volk entstieg der Asche und der Zerstörung, einem fürchterlichen Schmerz, der nie wird geheilt werden können. Bewehrt mit dem jüdischen Geist, der menschlichen Gerechtigkeit und der Vision der Propheten brachten wir neue Zweige hervor und schlugen tiefe Wurzeln. Trockene Knochen wurden mit Fleisch bedeckt, ein Geist erfüllt sie, und sie lebten und standen auf eigenen Füßen.

Wie Hesekiel prophezeite: „Und er sprach zu mir: Diese Knochen sind das ganze Haus Israel. Sie sagen: ‚Erdorrt sind unsere Knochen, verloren unser Hoffen; erstückt sind wir.’ Weissage darum und sprich zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Grüfte, heb euch herauf aus euren Gräbern, mein Volk, und führe euch zum Boden Israels.“

Ich stehe heute auf dem Boden, auf dem so Viele meines Volkes zugrunde gingen und ich bin nicht allein. Der Staat Israel und das gesamte jüdische Volk stehen mit mir. Wir neigen unser Haupt zu Ehren Eures Andenkens und heben unser Haupt, da wir die Flagge hissen, eine blau-weiße Flagge mit einem Davidstern in ihrer Mitte.

Und jedermann sieht. Und jedermann hört. Und jedermann weiß – dass unsere Hoffnung nicht verloren ist.“

(Außenministerium des Staates Israel, 27.01.10)