Freitag, 02.07.2010




Ein biillusionärer Staat
Von Alexander Jacobson

Mit einer Verspätung von einigen Jahrzehnten hat sich bei einem Teil der Rechten die Erkenntnis durchgesetzt, dass man in der modernen Welt – der demokratischen und selbst der undemokratischen – auf Dauer nicht über ein Territorium herrschen kann, ohne seinen Bewohnern die Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Seit 1967 ist klar, dass die Option, die Gebiete und ihre Bewohner zu annektieren, für Israel nicht besteht; denn dann würde es aufhören, Israel zu sein. Jüngst empfahlen jedoch Reuven Rivlin und Moshe Arens die Option der Annexion und der Einbürgerung. Arens schlägt eine abgespeckte Version von Großisrael vor, ohne Gaza. Seinen Worten nach wird die jüdische Mehrheit auch nach der Annexion erhalten bleiben. Das ist eine Illusion. Es kann keine Regelung geben, die das Westjordanland an Israel anschließt und Gaza draußen lässt.

Darüber hinaus müssten nicht nur die Bewohner Gazas, sondern auch die Nachkommen der palästinensischen Flüchtlinge die israelische Staatsbürgerschaft erhalten, und ebenso klar ist, dass jede Regelung notwendigerweise das palästinensische Rückkehrrecht beinhalten wird.

In einem Abkommen über zwei Staaten für zwei Völker müsste festgesetzt werden, dass das Rückkehrrecht sich auf den palästinensischen Staat bezieht. Wenn es jedoch nur einen einzigen Staat zwischen Jordan und Mittelmeer geben würde, gäbe es keine Alternative zu einem palästinensischen Recht auf Rückkehr in diesen Staat. Die Rede wäre also von einem Staat mit muslimisch-arabischer Mehrheit, der als solcher nur wachsen würde.

Es ist klar, dass solch ein Staat – im Gegensatz zur Illusion der Rechten - kein Israel wäre; aber er wäre auch kein binationaler Staat – im Gegensatz zu den Illusionen der Linken. Es wäre in jeder Hinsicht ein muslimisch-arabischer Staat, auch wenn man ihn bei seiner Gründung „binational“ nennen würde.

Kann man davon ausgehen, dass das palästinensische Volk über die Zeit darin einwilligen wird, das einzige arabische Volk zu sein, dessen Staat keinen klaren arabischen Charakter hat und nicht als Teil der arabischen Welt gilt? Ist es logisch anzunehmen, dass die Palästinenser zu diesem Verzicht, den kein arabisches Volk je für die alteingesessenen nicht-arabischen Minderheiten in der Region geleistet hat, zugunsten des zionistischen „Fremdkörpers“ bereit wären?

Die Befürworter des „einen Staats“ versichern, es würden von vornherein Regelungen festgesetzt werden, die den binationalen Charakter und die Rechte aller in dem Staat lebenden Gruppen gewährleisten würden. Eine Bestimmung auf dem Papier kann aber nicht bestimmen, was in der Praxis geschehen wird. Fehlen etwa auf der Welt und im Nahen Osten insbesondere Beispiele für die Diskrepanz zwischen der geschriebenen Verfassung eines Staates und seinem wirklichen Charakter?

Carlo Strenger meint in seinem Kommentar (Haaretz, 18.6.), der Vorschlag von Arens laufe auf einen binationalen Staat hinaus, und man solle die Idee in Betracht ziehen. Seinen Worten nach müsse der eine Staat völlig säkular sein; nach seiner Gründung  würde es „keine Basis mehr geben für eine arabische Ablehnung Israel-Palästinas, das völlig liberal“ wäre. Aber gerade darin liegt die Wurzel des Konflikts: All die säkularen und liberalen Elemente in der Region können sich nicht auf einen nicht-liberalen und nicht-säkularen Staat in ihrer Mitte einigen.

Wie kommt man zu dieser Idee? Ganz einfach: Man fügt zu den liberalen Säkularen in der jüdisch-israelischen Gesellschaft und den liberalen Säkularen in der arabisch-israelischen Gesellschaft die liberalen Säkularen im Westjordanland, die liberalen Säkularen im Gaza-Streifen und die Massen von liberalen Säkularen aus den Flüchtlingslagern der Nachbarländer hinzu – und dann gründet man einen „völlig“ säkular-liberalen Staat.

In Anbetracht dieser Koalition von Illusionen muss man sagen: Es gibt im Land zwei Völker, und beide haben das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Der binationale Staat ist eine äußerst selten Erscheinung auf der Welt; in unserer Region existiert diese nicht. In diesem Land wird es entweder zwei Nationalstaaten für zwei Völker geben oder einen Nationalstaat – einen arabisch-palästinensischen. Der Nationalstaat wird nicht verschwinden; es obliegt uns sicherzustellen, dass Israel nicht verschwindet.

(Haaretz, 01.07.10)

Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder.