Donnerstag, 04.11.2010




Der Frieden Obamas
Von Ari Shavit

Wirkliche Überraschungen hat es bei den US-Kongresswahlen nicht gegeben. Die Republikaner siegten im Repräsentantenhaus, aber nicht im Senat, in Kentucky, aber nicht in Kalifornien, mit einer Mehrheit, aber keiner überwältigenden. Barack Obama ist noch da: geschwächt, aber nicht besiegt, angeschlagen, aber nicht geschlagen, mittelschwer verletzt. Wenn es in Jerusalem jemanden gegeben hat, der hoffte, die Tea-Party würde die Siedler-Party retten, hat er sich schwer getäuscht. Die Auszeit der Midterm Elections 2010 ist zu Ende. Heute ist der Tag nach den Wahlen, nach den Feiertagen, nach dem Vorspiel.

Das wahre Spiel beginnt nämlich erst jetzt. Der Name des Spiels: Palästina. Das Ende des Spiels: die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates. Warum? Weil der amtierende US-Präsident sich mit den Palästinensern und ihrem Leid identifiziert und Gerechtigkeit für sie anstrebt; weil der US-Präsident glaubt, dass die Gründung Palästinas die arabisch-muslimische Welt zufriedenstellen wird, die er beschwichtigen will; weil der US-Präsident weiß, dass ihm mangels guter Nachrichten aus dem Irak, dem Iran und Afghanistan Palästina die einzige Aussicht auf gute Nachrichten bietet. Nur Palästina würde den Friedensnobelpreis rechtfertigen, den er erhielt; nur Palästina würde Obama das internationale Vermächtnis bescheren, das er sich wünscht; nur Palästina würde den Teamgeist des liberalen Lagers heben, dem Obama angehört.

Daher wird Palästina im Jahr 2011 für den entschlossenen Präsidenten das sein, was die Gesundheitsreform für ihn im Jahr 2009 war. Auf Gedeih und Verderb, egal was passiert, vernünftig oder unvernünftig – Barack Hussein Obama wird den Staat Palästina gründen.

In einem gewissen Sinne ist die Entschlossenheit Obamas zu begrüßen. Es ist gut, dass es einen globalen Führer gibt, der versucht, die Zwei-Staaten-Lösung in der 90. Minute zu retten. Es ist gut, dass es einen globalen Führer gibt, der bereit ist, gewaltige Ressourcen  zu investieren, um die Zwei-Staaten-Lösung zu verwirklichen. Es ist gut, dass es einen Staatsmann gibt, der noch immer über genug Gerechtigkeitssinn verfügt, um zu verstehen, dass der gegenwärtige Zustand unerträglich ist. Es ist gut, dass es einen Staatsmann gibt, der genug naiv ist zu denken, dass er die Welt reparieren kann.

In einem andern Sinne ist die Entschlossenheit Obamas jedoch gefährlich. Die Eile kommt vom Teufel, sagt ein arabisches Sprichwort. Simplifizierung ist das Rezept für Unheil. Gute Absichten, die nicht in der Realität verankert sind, führen in die Hölle. Bill Clinton versuchte, dem Nahen Osten einen Frieden aufzuzwingen, und scheiterte. George Bush versuchte, dem Nahen Osten die Demokratie aufzuzwingen, und scheiterte. Sollte Obama versuchen, ein vorzeitiges Ende des Konflikts herbeizuzwingen, würde auch er scheitern. Ein drittes amerikanisches Scheitern in Folge wäre ein Scheitern zu viel. Es würde die Stabilität erschüttern, die Gewalt ermuntern und Chaos hinterlassen.

Das Dilemma ist scharf: politische Korrektheit oder politische Vernunft; eine puristische Politik, die Luftschlösser zu bauen versucht, oder eine nüchterne Politik, die die Lage vor Ort zu verändern sucht. Tatsächlich ist der positivste Prozess, der im Nahen Osten vonstatten geht, der Prozess Salam Fayads. Im Westjordanland ist eine neue palästinensische Gesellschaft im Entstehen, die baut und prosperiert.

Wenn der Prozess Salam Fayads keine politische Dimension erhält, wird er kollabieren. Aber er wird auch kollabieren, wenn man ihm einen nicht erreichbaren politischen Horizont verpasst. Das Weiseste ist, der ruhigen palästinensischen Revolution einen politischen Anzug zu schneidern, der ihr passt; nicht  zu versuchen, die Flüchtlingsfrage innerhalb von zwei Monaten beizulegen, und nicht zu versuchen, das Problem Jerusalems innerhalb von zwei Wochen zu lösen; nicht der Ideologie und der Theologie zu gestatten, den palästinensischen und israelischen Moderaten Hürden in den Weg zu legen, die sich noch nicht überwinden können. Der einzige Weg ist ein Interimsabkommen, das die Besatzung vermindert, ohne den Konflikt zu beenden und Israel zu gefährden.

Die kommenden Wochen werden entscheidend sein. Obama hat auch nach dem Verlust des Abgeordnetenhauses noch genug Macht dazu, Israel zu vergewaltigen. Er kann sich mit ihm anlegen, es isolieren und ihm einen falschen Frieden aufzwingen. Aber Obama hat nicht genug Macht dazu, das Falsche zum Richtigen zu machen. Er ist nicht in der Lage, die Hamas zu stürzen, die Rückkehrforderungen zu annullieren und Palästina friedliebend zu machen. Wenn er also darauf beharrt, das Ende zu beschleunigen, wird die Hölle ausbrechen. Wenn er hingegen den pragmatischen Weg wählt, stehen seine Aussichten auf einen Wandel gut. Nur ein Teilfrieden, kein endgültiger, wird dem Nobelpreisträger den Frieden bringen, nach dem er strebt.

(Haaretz, 04.11.10)

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