Von Gilad Stern, Einav Yogev und Yoram Schweitzer
Bereits zum fünften Mal in den letzten sechs Monaten wurde letzte Woche die Gaspipeline in Al-Arish im nördlichen Sinai angegriffen. Wie die ägyptische Presse berichtete, sind vier bewaffnete maskierte Männer in die Erdgasstation eingedrungen, haben sie in die Luft gejagt und konnten anschließend unerkannt entkommen. Die Explosion verursachte an der Pipeline ernsthafte Schäden, die deutlich schwerwiegender waren als bei dem Angriff der letzten Woche.
Obwohl bisher keine Gruppierung die Verantwortung für die einander in der Ausführung ähnlichen Angriffe übernommen hat, werden in Ägypten vor allem die Terrororganisationen „Al-Tawid wa-l-Dschihad“ und „Dschaisch al-Islam“ aus dem Gaza-Streifen verantwortlich gemacht.
Bis heute ist nicht klar, ob palästinensische salafistische Gruppierungen in Gaza hinter den Vorfällen stecken oder ägyptische Oppositionelle. In jedem Fall lassen das Anhalten der Angriffe, ihr Timing, die Wahl der Ziele und die gelungene Flucht der Eindringlinge vermuten, dass es den Planern gelungen ist, das Regierungsvakuum auszunützen, das in Ägypten nach dem Fall des Mubarak-Regimes entstanden ist. Hinzu kommt die Schwäche der ägyptischen Sicherheitskräfte, die ihre Bemühungen auf die großen Städte im Land konzentriert haben.
Es ist außerdem offensichtlich, dass das Ziel wegen seiner essentiellen Rolle in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und Ägypten ausgewählt wurde.
Diese Ereignisse, und zusätzlich auch der Anstieg von Schmuggel hochentwickelter Waffen durch den Sinai in den Gaza-Streifen machen den Sinai für Israel zu einer Sicherheitsherausforderung.
Darüber hinaus gibt es in Ägypten starke Kritik an den Gasabkommen zwischen Israel und dem bisherigen Regime. Medien berichten von Überlegungen, den ehemaligen Ölminister, der für die Gasabkommen verantwortlich war, wegen „Verschwendung öffentlicher Gelder“ im Umfang von 714 Millionen US-Dollar anzuklagen.
Andere Berichte sprechen von einem Plan der gegenwärtigen Regierung, eine „Neubewertung“ der Abkommen für den Gasexport mit Israel vorzunehmen. Das Ziel soll hierbei sein, die Einkünfte des Landes zu steigern.
Anfang Juli hatte der ägyptische Finanzminister seine Absicht verkündet, den Gaspreis für Israel um 2,5 Milliarden Shekel (ca. 5 Millionen Euro) anzuheben. Ein ägyptischer hochrangiger Offizieller verlieh sogar seiner Einschätzung Ausdruck, dass die Angriffe „weitergehen werden, falls die Implementierung des (Gas-) Abkommens nicht beendet wird“.
Auch ohne die geplanten Änderungen in dem Abkommen ist der unmittelbare Schaden durch diese Angriffe in Israel bereits spürbar. Infrastrukturminister Uzi Landau hält infolge der unterbrochenen Gasversorgung und der Verwendung von teureren Brennstoffen wie Öl und Diesel eine Teuerung des Stroms um 20% für möglich. Der staatliche israelische Stromversorger „Chevrat ha-Chaschmal“ hat errechnet, dass die Kosten dieser Änderungen für die Wirtschaft um die 3 bis 3,5 Milliarden Schekel (610-710 Millionen Euro) betragen werden.
Abgesehen von unmittelbar spürbaren wirtschaftlichen Schäden ist diese Angriffsserie auch ein Indikator für das zusätzliche Sicherheitsrisiko, das aus der neuen Situation in Ägypten herrührt. Aus Sicherheitssicht könnte der Sinai zu einem „Niemandsland“ werden, wo Terrororganisationen nahezu ungestört operieren könnten. Generalmajor Aviv Kochavi, Chef des militärischen Nachrichtendienstes, erklärte vor kurzem, dass die ägyptischen Sicherheitskräfte „die Kontrolle über den Sinai verlieren“ und verlieh damit der israelischen Besorgnis über den Anstieg der Terrorangriffe im Sinai Ausdruck.
Die meisten dieser Terrorangriffe sind eine direkte Herausforderung der ägyptischen Hoheit über die Region. So griffen beispielsweise mit Panzerabwehr-Raketen bewaffnete Beduinen die Polizeistation in Sheikh Zawid in der Nähe der Grenze zum Gaza-Streifen an. Nur vier Tage später wurde das Hauptquartier des staatlichen ägyptischen Sicherheitsdienstes in Rafah angegriffen und niedergebrannt. Im Mai wurde bekannt, dass Dutzende bewaffneter Beduinen den Hafen von Nuweiba unter ihre Kontrolle gebracht hatten und den Transit von Passagieren und Waren verhinderten. Es gab auch Berichte über die Verwicklung von 400 Al-Kaida-Aktivisten in die Planung von Terrorattacken in Ägypten und dem Sinai.
Es ist offensichtlich, dass die schwierige Sicherheitssituation im Sinai Israel bereits betroffen hat. Aus einem Bericht des Inlandsgeheimdienstes Shin Beit vom Mai geht hervor, dass Terrororganisationen im Sinai das Regierungschaos ausgenützt haben, um große Mengen von Waffen in den Gaza-Streifen zu schmuggeln. Der militärische Nachrichtendienst berichtetet, dass Ägypten kürzlich entgegen einem Abkommen mit Israel, die Bauarbeiten für den Schutzwall entlang der Philadelphia-Linie unterbrochen hat, der den Schmuggel eindämmen soll.
Außerdem wurde berichtet, dass Schmuggler in den letzten sechs Monaten die weit geöffnete Grenze in Rafah und die Abwesenheit ägyptischer Sicherheitskräfte in den endlosen Weiten des Sinai ausgenutzt haben, um Raketen nach Gaza einzuschmuggeln. Dies hat die Zahl der Raketen im Besitz von Terrorgruppen von ca. 5.000 im Jahr 2010 auf heute 10.000 verdoppelt. Auch die Menge der geschmuggelten Munition hat bereits im ersten Halbjahr 2011 die dreifache Menge dessen erreicht, was im gesamten Jahr 2010 in den Gaza-Streifen geschmuggelt wurde.
Die Entwicklungen der letzten Zeit haben eine Neubewertung der Situation unerlässlich gemacht. Möglicherweise werden die Sicherheitsregelungen an der südlichen Front, an der es seit über dreißig Jahren ruhig war, neu ausgerichtet werden müssen. Gleichzeitig ist es aber die weithin akzeptierte Einschätzung in Israel, dass, auch wenn die Beziehungen zu Ägypten nicht so eng sind, wie sie es zu Mubaraks Zeiten waren, auch die neue Regierung in Ägypten den Friedensvertrag nicht in Frage stellen wird.
Doch es scheint, dass solange die neue Regierung mit der Stabilisierung beschäftigt ist und die Sicherheitskräfte vor allem mit den Folgen des Umsturzes in den großen Städten zu kämpfen haben, das große Grenzgebiet, das Ägypten, Israel und der Gaza-Streifen teilen, wahrscheinlich weiterhin ein Brennpunkt für Terroraktivitäten gegen Ziele in Israel bleiben wird.
Die Autoren sind Mitarbeiter des israelischen „Institute for National Security Studies“ (INSS).
(Jerusalem Post, 03.08.11)
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