Von Shlomo Avineri
Die Verhandlungen zwischen Israel und Syrien stehen zwei Gruppen von Schwierigkeiten gegenüber. Die mit der ersten Gruppe verbundenen Fragen sind dem öffentlichen Bewusstsein einigermaßen präsent; die zweite Gruppe ist weniger bekannt. Weder ein Wechsel in der israelischen Staatsführung noch eine Umbildung der Regierung werden diese grundsätzlichen Tatsachen ändern.
Die erste Gruppe bezieht sich auf die Fragen, die in den Verhandlungen diskutiert werden sollten. Die Syrer sind nur bereit, über ein einziges Thema zu verhandeln – die Wiedererlangung ihrer Herrschaft über die Golanhöhen. Israel hat hingegen eine umfassendere Agenda. Aus Israels Perspektive kann man die Verhandlungen nicht lediglich auf den Golan reduzieren, da seine strategischen Abwägungen von weiteren Elementen der syrischen Politik beeinflusst sind. Dazu gehören die syrische Unterstützung der Hisbollah und der Hamas; die Präsenz radikaler palästinensischer Organisationen in der syrischen Hauptstadt; die Rolle Syriens im Libanon und nicht zuletzt das Verhältnis Syriens zum Iran.
Auch wer nicht in die Geheimnisse der indirekten Verhandlungen eingeweiht ist, die gegenwärtig via Ankara geführt werden, kann vermuten, dass es nicht leicht sein wird, diese Gräben zu überrücken. Es ist zweifelhaft, ob Syrien bereit sein wird, über all die besagten Angelegenheiten mit Israel zu verhandeln; andererseits ist kaum vorstellbar, dass die israelische Regierung bereit sein wird, in der territorialen Frage signifikant auf Syrien zuzugehen, ohne dass die gesamte Politik Syriens gegenüber Israel - einschließlich seiner aktiven Unterstützung von radikalen antiisraelischen Organisationen und seiner Beziehungen mit dem Iran – einen grundsätzlichen Wandel erfährt.
Jenseits des Problems der Agenda besteht jedoch noch ein anderes Problem, dass in Israel leicht unterschätzt wird. Manchmal vernimmt man in Israel Stimmen, die sagen, der Unterschied in der Haltung Israels und Syriens in der territorialen Frage beschränke sich auf „ein paar Kilometer“: das stimmt zwar, zielt jedoch am Ziel vorbei.
Die moderatere israelische Position ist bereit, nach dem Vorbild der Friedensabkommen mit Ägypten und Jordanien einen israelischen Rückzug hinter die internationale Grenzlinie zu erwägen, wenn angemessene Sicherheitsgarantien bestehen. Die syrische Position fordert hingegen die Rückkehr hinter die Linien vom 4. Juni 1967. Bekanntlich war es Syrien gelungen, im Unabhängigkeitskrieg einige kleine Enklaven auf israelischem Gebiet zu erobern, und die Waffenstillstandsabkommen von 1949 spiegelten diese Realität wider. Der Unterschied liegt nicht nur in einigen Kilometern – so wichtig diese Kilometer auch sind, da sie Hamat Gader und den syrischen Zugang zum See Genezareth an dessen Nordostufer beinhalten. Aus syrischer Sicht geht es um etwas sehr viel Grundlegenderes.
Ein Hauptcharakteristikum der syrischen Ideologie und Politik ist die Nichtanerkennung der Legitimität von Abkommen und Grenzen, die nach dem Ersten Weltkrieg im Nahen Osten festgelegt worden sind: In den Augen der Baath-Partei sind dies imperialistische und kolonialistische Abkommen. Daher hat Syrien niemals die Unabhängigkeit des Libanon anerkannt und unterhält keine diplomatischen Beziehungen mit ihm; zwischen beiden Staaten wurden keine Botschafter ausgetauscht (m. E. werden trotz des jüngsten formalen Einverständnisses Syriens zur Aufnahme von Beziehungen auch keine Botschaften in den beiden Hauptstädten eröffnet werden). Aus diesem Grund ist Syrien nicht dazu bereit, die Grenze zwischen sich und dem Libanon zu bezeichnen; und aus diesem Grund hat es den Vereinten Nationen bis heute nicht bestätigt, dass die Sheba-Farmen sich auf libanesischem und nicht auf syrischem Territorium befinden – denn die Folge wäre das Eingeständnis, das der Libanon ein eigenständiger Staat ist.
Dies ist der Grund für das Beharren Syriens auf den „Grenzen vom 4. Juni“: Es geht nicht nur um eine territoriale Angelegenheit. Für Israel basiert seine Bereitschaft zum Rückzug hinter die internationale Grenze auf der Legitimität der Mandatsgrenze zwischen Syrien und dem Land Israel; in den Augen Syriens ist dies eine imperialistische Grenze und ein Sakrileg. Dies ist keine Pedanterie des internationalen Rechts, sondern ein Grundstein der syrischen Geschichtsnarrative.
Vielleicht wird es möglich sein, diese beiden Gruppen von Schwierigkeiten zu überwinden. Die Möglichkeit dazu hängt von der Bereitschaft Syriens ab, den Kreis der legitimen Themen innerhalb der Verhandlungen zwischen beiden Staaten erheblich auszuweiten und sich von einem Grundprinzip seiner ideologischen Weltanschauung zu verabschieden. Dies sind gewiss keine Randaspekte, und wer sie der Öffentlichkeit als solche präsentiert, irrt und führt in die Irre – sei es bewusst oder unbewusst.
Shlomo Avineri ist Emeritus für politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.
(Haaretz, 06.08.08)
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