Von Dov Weisglass
Seit mehreren Jahren ist es innerhalb der internationalen Gemeinschaft die gängige Meinung, dass der palästinensische Terror mit der Schaffung eines palästinensischen Staates aufhören würde. Diese auf der historischen Erfahrung des Westens basierende Annahme geht davon aus, dass Terror betrieben wird, um nationale Ziele zu erreichen, und dass eine nationale Bewegung nach der Erfüllung ihrer Forderungen dem Terror abschwört. Infolgedessen wurde Israel, unter der Annahme, dass ein palästinensischer Staat dem Terror natürlicherweise ein Ende setzen werde, zu diplomatischem Forschritt angehalten.
Das Kabinett Ariel Sharons glaubte nicht an diesen Ausgang. Das Offensichtliche war ganz und gar nicht offensichtlich, und Israel forderte eine andere Art des Forschritts: zuerst die Beendigung des Terrors und sein Ableben, und erst dann diplomatischer Fortschritt. Dies ist exakt die diplomatische Essenz des Slogans „keine (diplomatischen) Verhandlungen unter Feuer (Terror)“.
Unumstritten ist das erhebliche Risiko, dass der Bildung eines unabhängigen und souveränen palästinensischen Staates auf der Basis der gegenwärtigen palästinensischen Gesellschaft innewohnt – einer Gesellschaft, die von Terror, Kriminalität, Korruption und Sektierertum verdorben ist. Ein solcher ‚Staat’ wäre ein ‚beachtenswertes’ Mitglied der organisierten internationalen Gemeinschaft, aber der Terror gegen Israel würde aus seinen Reihen heraus fortgeführt werden, während die Operationsmöglichkeiten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) innerhalb des palästinensischen Staates aufgrund der diplomatischen und rechtlichen Zwänge und der öffentlichen Weltmeinung stark eingeschränkt wären.
Heute kontrollieren die israelischen Sicherheitskräfte die von Israel seit dem Krieg einbehaltenen Gebiete, um den Terror zu verhindern. Nach der Schaffung eines palästinensischen Staates müssten unsere Sicherheitskräfte in das Territorium eines benachbarten, souveränen und unabhängigen Staates einmarschieren, der von vielen Staaten anerkannt sein würde (von mehr als Israel anerkennen). Der Unterschied zwischen beiden Situationen spricht für sich selbst.
In seiner Rede vom 24. Juni 2002 ging Präsident Bush von einer umgekehrten Basis für diplomatischen Fortschritt aus. Seine Position, die in ein vom internationalen Nahost-Quartett erarbeitetes Dokument einfloss (und von einer UN-Resolution angenommen wurde) hat man als „Road Map“ bezeichnet. Es ist dies ein Plan zur Bewerkstelligung eines Aussöhnungsprozesses zwischen dem Staat Israel, dem palästinensischen Volk und der arabischen Welt.
In der Anfangsphase sollten die Palästinenser u.a. den Terror beenden, Terrororganisationen entwaffnen, ihre Waffen konfiszieren, effiziente Geheimdienst-, Sicherheits- und Kontrollbehörden aufbauen, das Recht durchsetzen, eine angemessene Regierungs- und Verwaltungsstrukturen errichten – also ein terrorfreies Regime schaffen, das ordentlich funktioniert und in der Lage ist, einen Staat zu lenken. In der zweiten Phase sollte – im Anschluss an eine Bewährungszeit – ein palästinensischer Staat innerhalb der gegenwärtigen Grenzen der Palästinensischen Autonomiebehörde errichtet werden, und erst dann sollten – in der dritten Phase und im Anschluss an eine weitere Bewährungszeit – Verhandlungen zu einem Abkommen über die Grundfragen wie die Grenzen, die Flüchtlinge und den Status von Jerusalem eingeleitet werden.
Die Road Map zeichnet sich aus durch das Fortschreiten zu einer späteren Phase erst nach der vollständigen Umsetzung der früheren Phase. Der gesamte Prozess hat zur Bedingung die Bildung einer effizienten und funktionierenden Palästinensischen Autonomiebehörde, die den Terror verhindert und das Recht durchsetzt. Die Entscheidung, ob die eine Phase in einer Weise umgesetzt worden ist, die das Einleiten der nächsten Phase ermöglicht, würde in den Händen der USA liegen.
Als das israelische Kabinett sich (mit gewissen Vorbehalten) zur Annahme der Road Map entschied, gab Israel in der Konsequenz sein Einverständnis zur Gründung eines palästinensischen Staates. Die umstrittenen Punkte betreffen insofern nicht die Gründung eines palästinensischen Staates an sich, sondern vielmehr die Bedingungen eben dieser Gründung.
In den letzten Wochen hat es Anzeichen dafür gegeben, dass sich bei den Palästinensern ein Wandel weg von der Bandenherrschaft hin zu einer funktionierenden Regierung vollzieht. Doch alles, was hierbei erreicht worden ist, kommt der ersten Phase der Road Map noch immer nicht nahe. Der Übergangzu Gesprächen über ein Endstatus-Abkommen in der gegenwärtigen Situation bedeutet, dass die im gestaffelten Verlauf der Road Map festgelegten Bedingungen ignoriert werden und Israels wichtigste diplomatische Errungenschaft der vergangenen Jahre aufgegeben wird.
Mit der Road Map erkennt die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft das Recht Israels an, einen palästinensischen Staat so lange nicht zu akzeptieren, als er nicht garantieren kann, den von seinem Gebiet ausgehenden Terror zu verhindern. Diese Prämisse darf nicht preisgegeben werden.
Dov Weisglass war Büroleiter des früheren Ministerpräsidenten Ariel Sharon und dessen wichtigster Ratgeber.
(Yedioth Ahronot, 09.08.07) |